Flucht ins Ungewisse

Zeitzeuge Karl Pfeifer erzählt von seiner abenteuerlichen Flucht in der NS-Zeit

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Am 27. Jänner 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee befreit. Im Jahr 2005 entschied die UNO dieses Datum zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust zu machen. Einer, der der Todesmaschinerie der Nationalsozialisten entkommen ist, ist Karl Pfeifer. Am 14. Dezember 2020 erzählte der pensionierte Journalist den Schülerinnen und Schülern und einigen Lehrpersonen der 4. Klasse des Klassischen Gymnasiums in einer Videokonferenz  im Rahmen des Deutsch- und Geschichteunterrichts von Prof. Sabina Mayr und Prof. Christof Obkircher seine abenteuerliche Lebensgeschichte. Ermöglicht wurde das Treffen durch die Unterstützung des Absolventenvereins


Mit seinen 92 Jahren kann Karl Pfeifer auf ein spannendes und ereignisreiches Leben zurückblicken. Das hängt vor allem damit zusammen, dass er jüdischer Herkunft ist und in eine Zeit hineingeboren wurde, in der Juden zunehmend grausam verfolgt wurden. Davon und wie er es immer wieder schaffte, vor der Naziherrschaft zu fliehen und zu überleben, berichtete er der 4. Klasse des Vinzentums.

Pfeifer wurde 1928 in Baden bei Wien geboren. Seine Mutter war ungarischer Muttersprache und sein Vater deutscher Herkunft. Zudem hatte er auch noch einen älteren Bruder. Bereits in der Schulzeit begann sich der Antisemitismus bemerkbar zu machen, wobei Karl aufgrund seiner Religion beleidigt und angerempelt wurde, um schließlich vom Religionsunterricht ganz ausgeschlossen zu werden.

Noch vor dem Anschluss Österreichs an Nazideutschland im Jahr 1938 wurde in Karls Heimatort die Naziflagge gehisst. Von nun an wurden die Juden offensichtlich unterdrückt, beschimpft und es kam sogar so weit, dass der damals kleine Karl die Grundschule verlassen musste. Juden wurden in der Öffentlichkeit gedemütigt und sollten sogar die Straßen säubern. Somit war es nun auch für Karl Pfeifers Familie zum Ausnahmefall geworden, sich frei zu bewegen. Es wurde für sie immer gefährlicher in Österreich zu bleiben, und so beschloss die Familie, nach Ungarn zu fliehen, denn dort lebte ein Großteil der Verwandtschaft. Ihre Flucht gestaltete sich aber alles andere als einfach. Sie brauchten neue Pässe und reisten unter falschen Namen. Zuerst fuhren sie in die Schweiz, von dort über Italien nach Jugoslawien, bis sie schließlich nach Ungarn gelangten. Während der Reise wurden sie oftmals von Gestapobeamten und anderen Uniformierten kontrolliert. Karl selbst sagt noch heute dazu, dass diese Kontrollen seine größte Angst während der Flucht gewesen seien. In Ungarn angekommen, musste er zunächst Ungarisch lernen. Dazu schickten ihn seine Eltern in ein jüdisches Internat nach Ostungarn. Er musste dort seine Schule fortsetzen und lernte dazu noch fließend Ungarisch. Nun konnte er sich ohne jegliche Probleme mit den Einheimischen verständigen. Aber nach und nach wurde auch die Lage in Ungarn immer angespannter. Karl wird offen auf der Straße beleidigt und so beschließt er als Jugendlicher, dass es erstens keinen Gott gibt und zweitens, dass er aufgrund dieser Beleidigungen kein Ungar sein will. Diese Entscheidungen waren ziemlich hart, doch wie sein Erzieher bestätigte, auch gerechtfertigt. 1940 trat er der sozialistisch-zionistischen Jugendorganisation Hashomer Hatzair bei. Seine Mutter wurde in der Zwischenzeit in ein Krankenhaus eingeliefert, wo sie an Leberkrebs starb. Karl wurde zum militärischen Dienst in Ungarn einberufen, wo er aber immer wieder zu spüren bekam, als Jude kein gleichwertiger Mensch zu sein. Immer öfter wurde er ausgegrenzt und bloßgestellt. Somit befand sich auch Ungarn im Anfangsstadium des Antisemitismus. Karl Pfeifer zufolge war Ungarn kein Opfer, sondern es gab dort auch immer mehr Täter. Von nun an arbeitete er auch als Lehrling in einer Lederwerkstatt, die Waren für den Krieg herstellte. Insgesamt wurde er dort halbwegs normal behandelt.

Im November 1942 blieb er vom militärischen Dienst fern und wurde daraufhin polizeilich gesucht. Er musste untertauchen und auf Rat seines Ausbilders beschloss er, nach Palästina zu fliehen. Vor der Flucht sagte sein Vorgesetzter: „Für uns Ungarn wird es eine schwere Zeit, für euch Juden eine Katastrophe.“ Karl Pfeifer floh zuerst in die Türkei, genauer gesagt nach Istanbul. Er blieb vier Tage lang in einer kleinen Pension, wo er sich von den Anstrengungen der Flucht kurz erholen konnte. Von dort aus floh er zur Grenze Libanons und Israels.

Schlussendlich gelangte er am 19. Jänner 1945 nach Palästina. Karl wurde dort von den Alliierten zu seiner Zeit in Ungarn befragt. Eine Woche später kam er in einen Kibbuz. Dort musste er den halben Tag lernen und den restlichen Tag arbeiten. Sein Vater war in Ungarn geblieben und kam in der Zwischenzeit in ein Ghetto, wo er nach seiner Freilassung an Herzversagen starb. Insgesamt verlor Karl Pfeifer 36 Verwandte infolge der Naziherrschaft.

1946 kam er in Palästina zum Heer, das zu dieser Zeit illegal war. Das Leben in diesem Heer war sehr hart und anstrengend. Im Jahre 1948 wurde diese Armee dann legal und anerkannt. Trotzdem entschloss er sich 1951 nach Österreich zurückzukehren, das er als eigentliche Heimat empfand und um seine wahre Identität wiederzubekommen. In Österreich besuchte er eine Hotelfachschule und arbeitete später in einem Hotel. Er entschied sich ganz spontan dazu Journalist zu werden, indem er 1981 seinen ersten Artikel veröffentlichte. So wurde er mit 51 Jahren Journalist. Er schrieb seine Texte nur in deutscher Sprache, beherrschte aber noch Ungarisch, Hebräisch Englisch, Italienisch und Französisch. Seit Anfang der 1990er Jahre bis 2005 arbeitete Pfeifer als Wiener Korrespondent des israelischen Radios und als freier Journalist des monatlich erscheinenden antifaschistischen Londoner Magazins „Searchlight“, sowie des jüdischen Internetmagazins „haGalil“. Mit 67 Jahren ging er in Pension und legte den Job als Journalist nieder. Dafür hatte er mehr Zeit vor allem jungen Menschen von seinem Leben zu erzählen. Heute ist er 92 Jahre alt und lebt in Wien. Er gehört zu den letzten Zeitzeugen eines der finstersten Kapitel der Geschichte Europas. Wenn er selbst auf diese Zeit zurückblickt, sagt er, würde er sich keine konkreten Tipps oder Ratschläge geben, sondern aus heutiger Sicht eher über manches lächeln.

Niklas Stifter (4. Klasse)

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