Was für ein Theater!

Die Geschichte des Theaterspiels am Vinzentinum

„Ich liebe es, Theater zu spielen. Es ist so viel realistischer als das Leben“, verkündete der irische Dramatiker und Dandy Oscar Wilde etwa zu jener Zeit, als die Theatertradition am Vinzentinum ihren Anfang nahm. Die erste – wenn man so will – „urkundliche Erwähnung“ des Theaters am Vinzentinum findet sich in der von Direktor Alois Spielmann verfassten Chronik des Jahresberichts von 1877/78: „[...] am 4. (und 5.) März d. J. konnte die erste kleine Theater-Vorstellung auf woladjustirter [sic!] Bühne gegeben werden; am 10. Juni folgte eine grössere, welche am 21. zur Aloisi-Festfeier wiederholt wurde.“ Welches Stück damals gespielt wurde und wer auf der Bühne stand, lässt sich leider nicht mehr feststellen. Fest steht nur, dass das Schauspiel von Beginn an zum Selbstverständnis des Vinzentinums dazugehört. 

Wenn man heute vom „Theater am Vinzentinum“ spricht, ist meist das Maturatheater gemeint. Dabei ist die Tradition, dass die Oktava ein Theaterstück auf die Bühne bringt, eine vergleichsweise junge. Vom Maturatheater ist erstmalig im Jahresbericht 1978 – also genau 100 Jahre nach dem ersten Hinweis auf die Theateraktivität am Vinzentinum – in einem Nebensatz zur Lehrfahrt der Maturanten nach London die Rede: „Einen guten Teil der Kosten finanzierten sie [Anm.: die Maturanten] sich selber durch die Theateraufführung ‚Lumpazivagabundus‘ von Nestroy.“ Tatsächlich begründete die Notwendigkeit, Geldmittel für die Maturareise zu sammeln, das Vinzentiner Maturatheater, wie wir es heute kennen. Auf die Ausrichtung eines Balles, wie an anderen Schulen üblich, wollte man sich damals am Vinzentinum wohl nicht einlassen. Somit blieb als für ein Knabenseminar adäquate Alternative das Theaterspiel als Finanzierungsquelle.

Von Macbeth bis Lumpazivagabundus

In den hundert Jahren zuvor wurde die Bühne des Parzivalsaales meist von anderen Schülern als den Oktavanern bespielt. Letztere sollten im Jahr der Abschlussprüfung „geschont“ werden. Theateraufführungen waren demnach klassenübergreifende Aktivitäten, die von einem theaterverantwortlichen Professor betreut wurden. In der Anfangszeit dürfte Prof. Ferdinand Spielmann der Theaterleiter gewesen sein. Von der Mitte der 1920er- bis Ende der 1950er-Jahre zeichneten Prof. Heinrich Waschgler und Prof. Josef Bosin für die schauspielerischen Gehversuche der Zöglinge verantwortlich. In den 1960er- und 1970er-Jahren übernahm diese Aufgabe Regens Anton Geier. 

Wenngleich damals im Gegensatz zu heute hauptsächlich für die erweiterte Hausgemeinschaft sowie andere Schüler und Studenten gespielt wurde, war der Anspruch in allen Belangen hoch. Zum einen wagte man sich in aufwändiger Kostümierung an große Klassiker wie Shakespeares „Macbeth“ oder Raimunds „Der Verschwender“ (aus denen übrigens in Ermangelung weiblicher Darstellerinnen die Frauenrollen gestrichen wurden), zum anderen gab es bereits in den 1880er-Jahren professionell gestaltete und gedruckte Einladungen zu den Vorstellungen. Eine Rezension in der Brixner Chronik von 1912 deutet darauf hin, dass es durchaus üblich war, dass lokale Honoratioren den Aufführungen beiwohnten. 

Vielfältig waren die Anlässe, zu denen gespielt wurde. Es finden sich Belege, dass die nach wie vor beliebte Vinzentiner Faschingsfeier schon vor dem Ersten Weltkrieg fixer Bestandteil des Kalenders war. Religiöse Feiertage (Weihnachts-, Oster- und Fronleichnamsspiele) boten ebenso Gelegenheit für theatralische Vorstellungen wie Jubiläen (Geburts- und Namenstage der Professoren und Vorstände, Priesterjubiläen) und Gedenkfeiern. Heute sind es vor allem Weihnachts- und Faschingsfeiern, bei denen die Schülerinnen und Schüler abseits des Maturatheaters ihr schauspielerisches Talent unter Beweis stellen. Zum Einsatz kommen dabei sowohl Mittel- als auch Oberschüler. Geprobt wird meist in der Freizeit oder auch im Rahmen des Wahlpflichtfaches „Theater“. 

Musiktheater im Vinzentinum

Ein besonderes Merkmal der Vinzentiner Theatertradition ist die regelmäßige Verknüpfung mit der Musik. Gesangseinlagen und ganze Singspiele gehören seit jeher zum Repertoire. Besonders Prof. Bosin wurde ein Faible für musikalische Bühnenstücke nachgesagt. Unter Chorleiter Rudi Chizzali wurden die traditionellen Chor-Abschlusskonzerte in den 1990er- und 2000er-Jahren nicht selten zu theatralischen Inszenierungen. „Krach bei Bach“ (2004) oder das „Paulus Oratorium“ (2003) waren aufwändige Produktionen mit Kostümen, Choreographien und Textpassagen. Chizzalis Nachfolger Stefan Kaltenböck war dann 2014 die treibende Kraft hinter der wohl bislang größten Inszenierung in der Geschichte des Vinzentinums. Das Vinzentiner Musical „Der Sechste Sinn“ – eine Auftragskomposition von Stefan Gmoser unter der Regie von Gerd Weigel – versammelte nicht weniger als 150 Akteure auf der Bühne und Dutzende hinter den Kulissen. Als Schauspieler und Sänger fungierten nicht bloß Chorschüler/-innen, sondern auch Professorinnen, Erzieherinnen und Verwaltungsmitarbeiterinnen sowie Schülerinnen und Schüler von der ersten bis zur achten Klasse.

Aushängeschild Maturatheater

Mit der Entstehung des Maturatheaters Ende der 1970er-Jahre erfuhr das Theater am Vinzentinum generell einen Popularitätsschub, denn man spielte fortan nicht mehr nur hauptsächlich für Professoren, Eltern und Bekannte. Die Aufführungen wurden im Laufe der Zeit zu einem gesellschaftlichen Ereignis in Brixen und Umgebung. Bezeichnend dafür: Der ehemalige Landeshauptmann Luis Durnwalder zählte ab 1990 zu den Stammgästen der Premierenvorstellung, die lange Zeit am Seminartag angesetzt war. Mittlerweile hat sich der Freitag der Semesterferien als Premierentag etabliert. Die letzte der meist zehn Aufführungen findet dann am Seminartag statt. In den ersten Jahren des Maturatheaters halfen hin und wieder auch noch Septimaner und Sextaner auf der Bühne aus. Mittlerweile sind aber nur noch Maturanten im Rampenlicht aktiv und die jüngeren Kolleginnen und Kollegen unterstützen sie bei der Technik und der Platzeinweisung. 

Die Regie war zwischen 1978 und 1991 fest in der Hand des Trios Paul Rainer, Peter Maurberger und Josef Eder, die abwechselnd für einen reibungslosen Ablauf sorgten. Ab 1992 kamen auch andere Vinzentiner Professoren zum Zug, allen voran Rudi Chizzali, der in der Folge fünfmal Regie führte. Rekordhalter bleibt dennoch Prof. Maurberger mit neun Regiearbeiten, vor Prof. Rainer mit sieben. Ein weiterer Schritt in Richtung Professionalisierung wurde 2008 gesetzt. „Der Club der toten Dichter“ war nämlich die erste Vinzentiner Produktion, für die mit Erich Meraner ein externer Profiregisseur engagiert wurde. Seither waren beim Maturatheater auf dem Regiestuhl nur mehr Profis am Werk. Nahezu zum Vinzentiner „Haus- und Hofregisseur“ avancierte in jüngster Zeit der Kölner Gerd Weigel, der zwischen 2012 und 2022 beim Vinzentiner Musical sowie bei sieben Maturatheaterproduktionen Regie führte und durch seinen unverwechselbaren Stil wesentlich zum guten Ruf des Theaters am Vinzentinum über die Stadtgrenzen hinaus beigetragen hat. Bei der Inszenierung der "Lysistrata" 2023 führte mit Agnes Öttl erstmals eine Frau beim Maturatheater Regie. 

The Vinzentinum