"In England sind Lehrpersonen Coaches"

Erfahrungsbericht aus einer britischen "Boarding School"

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Seit dem heurigen Schuljahr unterrichtet Barbara Mitterrutzner aus Vahrn Englisch am Vinzentinum. Die vergangenen sechs Jahre war sie in Schule und Internat der Warminster School in England beschäftigt. Im Interview erzählt sie von ihren Erfahrungen und den Parallelen bzw. Unterschieden zwischen einer typischen britischen Boarding School und dem Vinzentinum. 


Wie bist du als Südtirolerin eigentlich in einer privaten englischen Internatsschule gelandet?
Nach England gezogen bin ich wegen der Liebe, dass ich an einer Internatsschule gelandet bin, war, wie vieles im Leben, reiner Zufall. Ich habe in Innsbruck Deutsch und Englisch studiert und ein Erasmus-Auslandssemester in Manchester verbracht. Das hat mir derart gut gefallen, dass ich gegen Ende meines Studiums für ein Jahr als Fremdsprachenassistentin nach Loughborough in Mittelengland gegangen bin. Dort habe ich meinen jetzigen Mann kennengelernt. Nachdem wir dann eine Zeit lang gemeinsam in Innsbruck gewohnt datten und ich erste Unterrichtserfahrung sammeln konnte, haben wir den Plan gefasst, wieder nach England zu ziehen. Im Internet habe ich eine Stelle an der Warminster School als Deutschlehrerin für deutsche Muttersprachler gefunden und mich darum beworben.

Deutschlehrerin für deutsche Muttersprachler an einer englischen Privatschule?
Ja, an der Warminster School sind, wie an vielen englischen Privatschulen, auch recht viele Schülerinnen und Schüler aus dem Ausland. Wenn diese das International Baccalaureate (internationale Matura) machen, erhalten sie auch Literaturunterricht in ihrer Muttersprache. Zusätzlich habe ich zunächst dann auch noch Englisch als Fremdsprache für einige der internationalen Student/-innen unterrichtet. Französisch und Spanisch gab es an der Warminster School als Fremdsprachen immer schon – ab meinem zweiten Jahr an der Schule wurde dann auch noch Deutsch in den Lehrplan aufgenommen und ich habe vermehrt Deutsch als Fremdsprache unterrichtet, was mir sehr viel Spaß gemacht hat.

Das klingt nach einer vielfältigen Beschäftigung?
Das kann man so sagen. Neben meiner Lehrtätigkeit war ich außerdem im Internatsleben involviert. Grundsätzlich sind an englischen Privatschulen Schule und Heim eng verknüpft. Einige Lehrpersonen kommen am Abend für akademische Unterstützung zu den Schülerinnen und Schülern ins Heim, während andere am Campus wohnen und in ihrer Doppelrolle als Erzieher/-innen auch für die sogenannte Pastoral Care, also die ganzheitliche Begleitung, verantwortlich sind. Ich selbst war zunächst als Haustutorin und später als House Mistress für die 14- bis 18-jährigen Mädchen im Internat zuständig. Dadurch haben mein Mann und ich diese sechs Jahre direkt am Campus in einer Wohnung gelebt. 

Was ist für dich das Wesensmerkmal einer englischen Boarding School?
Ich würde sagen, dass es in gleichem Maße um menschliche wie auch um akademische Bildung geht. Es ist ein ganzheitlicher Ansatz, der den holistischen Menschen sieht. Entsprechend hohen Stellenwert haben an der Schule die so genannten Co-Curricular-Activities wie Musik, Sport, Theater und diverse Clubs, die sich an den Interessen der Schüler/innen orientieren wie Ingenieursclub, Debattierclub usw. 

Ist die Warminster School ähnlich dem Vinzentinum eigentlich eine konfessionelle Schule?
Ja. Die Schule steht in Verbindung zur Church of England, der anglikanischen Kirche. Gemeinschaft wird groß geschrieben. Zweimal wöchentlich findet die Assembly statt. Dazu trifft sich die gesamte Schulgemeinschaft in der Kirche. Die Assembly wird von der Pastorin geleitet und es wird gebetet und gesungen. Die Versammlung ist aber kein rein religiöser Akt. Bei der Assembly werden auch Vorträge und Präsentationen gehalten oder Hinweise auf anstehende Veranstaltungen gegeben. 

Den Bildern nach zu schließen ist Warminster eine typische englische Privatschule, wie man sie aus Filmen kennt: gepflegter Rasen, Gebäude im Harry-Potter-Stil und Kinder in Schuluniformen. Stimmt dieser Eindruck?
Ja, das stimmt. Die Gebäude sind sehr alt und schön (aber auch ein bisschen zugig!). Die Schülerinnen und Schüler tragen Uniform vom Frühstück bis zum Unterrichtsende um 17 Uhr. Diese Tradition soll die Identifikation mit der Schule festigen. In den höheren Klassen dürfen die Schüler/-innen ihre eigene Kleidung tragen, müssen sich aber an einen bestimmten Dresscode halten. Dasselbe gilt auch für das Lehrpersonal: keine Jeans, keine T-Shirts. 

Gibt es auch noch andere Unterschiede im Schulalltag zwischen England und Südtirol?
Da gibt es so einige. Man kennt das vielleicht aus den USA, aber auch in England kommen zum Beispiel nicht die Lehrer/-innen in die Klasse, sondern die Schüler wechseln in jeder Stunde das Klassenzimmer. Jede Lehrperson hat ihren eigenen Klassenraum und kann diesen auch entsprechend gestalten. 

Pflichtfrage: Wie hat dir das berüchtigte englische Essen geschmeckt?
Ich finde ja, die englische Küche ist besser als ihr Ruf! Zu Beginn war es für mich als Kontinentaleuropäerin schon etwas gewöhnungsbedürftig, aber das hat eher mehr mit der Esskultur als mit dem Essen an sich zu tun. In unserer Dining Hall gab es jeden Tag drei bis vier Hauptgerichte zur Auswahl, dazu noch einige Beilagen. Ich habe zum Beispiel auch ein englisches Lieblingsessen: Fish Pie!

Was hat dir sonst noch so "geschmeckt" am englischen Schulsystem?
In England sind die Lehrpersonen Coaches. Weil alle Prüfungen extern abgelegt werden, sind die Personen, die die Schülerinnen und Schüler unterrichten und die, die sie benoten, nicht dieselben. Das schafft eine konstruktive Unterrichtsatmosphäre. Hier in Südtirol hingegen vergeben die Lehrer/-innen natürlich nicht nur Feedbacknoten, sondern entscheiden auch über die Endbeurteilung. Ich habe mich vor meiner Rückkehr schon gefragt, wie das wird, wenn ich wieder selber Noten vergebe. Aber der Empfang am Vinzentinum war sowohl von Seiten der Lehrerschaft als auch der Schüler/-innen sehr herzlich, sodass diese Sorge wohl unbegründet war (und hoffentlich bleiben wird).

Wenn du nun Warminster und Vinzentinum gegenüberstellst - was fällt dir sofort auf?
Die Identifikation mit der Schule und das Gemeinschaftsgefühl werden an beiden Schulen großgeschrieben, deshalb habe ich mich hier auch gleich ganz heimisch gefühlt. Im Vinzentinum beeindruckt mich das hohe akademische Niveau sowie der höfliche, aber doch offene und freundliche Umgangston der Schülerinnen und Schüler. Mir ist der Abschied von der Warminster School nicht ganz leicht gefallen, aber im Vinzentinum habe ich eine Schule ganz nach meinem Geschmack gefunden und ich freue mich schon sehr darauf, was die Zukunft bringen wird.

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Warminster School

Die Warminster School ist eine so genannte "Public School" (Privatschule) im Südwesten Englands. Namensgebend ist der Ort Warminster in Wiltshire-County. Die 1707 gegründete Schule wird als "Day and Boarding School" (Ganztagesschule mit Vollinternat) betrieben. Die Schule kann von Buben und Mädchen zwischen 2 und 18 Jahren besucht werden. Insgesamt werden rund 550 Kinder betreut. Das Schulangebot gliedert sich in "Nursery" (Kinderhort und Kindergarten), "Pre-Prep" (Vorschule), "Prep School" (Unterstufe), "Senior School" (Oberstufe) und "Sixth Form" (Kurssystem der letzten beiden Klassen als Vorbereitung auf die Abschlussprüfung). Das Internat ist in "Junior Boarding" (8-13 Jahre) und "Senior Boarding" (14-18 Jahre) unterteilt.  

The Vinzentinum