Wir, Mädchen in Auschwitz

Berührende Begegnung mit den Bucci-Schwestern

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Am Mittwoch, den 16. Februar 2022, nahm die 7. Klasse des Vinzentinums an einer Online-Begegnung mit den Schwestern Tatiana und Andra Bucci teil. Die Begegnung wurde von Sandro Wagmeister organisiert, einem Nachkommen einer alteingesessenen jüdischen Familie Südtirols in Kooperation mit der Organisation "Figli della Shoah".


Nachdem Tatiana Bucci gleich zu Beginn die deutsche Ausgabe eines Buches über ihr Leben in Auschwitz vorgezeigt hatte, begann Andra Bucci den familiären Hintergrund darzulegen. Ihre Familie lebte in Rijeka, dem damaligen Fiume. Mitte der 1930er Jahre heirateten ihr katholischer Vater Giovanni Bucci und ihre Mutter Mira Perlow, die in der Ukraine geboren worden war und im Alter von drei Jahren mit ihren Eltern vor dem Ersten Weltkrieg vor Pogromen nach Rijeka geflüchtet war. 1937 wurde Tatiana, 1939 Andra geboren. Der Tatsache, dass sich die beiden Mädchen sehr ähnlich sahen, verdanken sie ihr Leben. Die Mutter und die beiden Mädchen wurden am 28. März 1944 infolge der Denunziation eines katholischen Angestellten der jüdischen Gemeinde mit der Tante Gisela und deren Sohn Sergio De Simone festgenommen, auf der kroatischen Insel Susak und im KZ Risiera di San Sabba festgehalten. Von dort wurden sie in einem Güterwagen ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie am 4. April 1944 ankamen, wie sie nach der Befreiung rekonstruieren konnten. Josef Mengele, der an Zwillingen Experimente durchführte, wählte die Mädchen und ihren Cousin als Objekte für seine "Forschung" aus, da er annahm, dass Tatiana und Andra Zwillinge waren. Dies war der Grund dafür, dass Tatiana, Andra und Sergio nicht gleich nach ihrer Ankunft in Auschwitz ermordet wurden, was mit Hunderttausenden von Kindern geschah. 

Die Schwestern wechselten sich in ihrem sehr klar gesprochenen und schön formulierten, überaus beeindruckenden Bericht ab. Besonders berührte, dass sie sehr offen erzählten, was das "Leben" im Lager menschlich mit ihnen im damaligen Alter von vier und sechs Jahren gemacht hatte, dass sie sich z.B. ihrer abgemagerten Mutter vollkommen entfremdet hatten und ihr damit zusätzlichen Schmerz zufügten, dass sie tagtäglich ohne besondere Skrupel an gestapelten Leichen vorübergingen. Sie erklärten, welche wichtige Rolle heute jährliches Gedenken der Opfer für sie spielt, zumal sie ihren Cousin verloren, der im KZ Neuengamme bei Hamburg Opfer pseudomedizinischer Versuche wurde und vor der Befreiung ermordet wurde. Wie durch ein Wunder wurden Tatiana und Andra gerettet und erlebten die Befreiung von Auschwitz durch russische Truppen, die ihnen zu essen gaben, mit ihnen sprachen und spielten, was zwei Jahre lang nicht geschehen war. Die Mädchen wurden nach einem Aufenthalt in Prag zur Erholung nach England gebracht, wo Anna Freud eine psychologische Einrichtung für Kinder betreute, welche die Schoah überlebt hatten. Im Frühjahr 1946 wurden die Mädchen mit ihren Eltern wieder vereint, mit denen sie schließlich nach Triest zogen.

Andra und Tatiana stellten abschließend fest, dass im Italien der Nachkriegszeit ihre Mehrsprachigkeit nicht besonders erwünscht war. Das Einzige, was die Mädchen in den Jahren ihrer Gefangenschaft lernten, und was sie auch in den Monaten nach ihrer Befreiung bestens zu nutzen wussten, war es verschiedene Sprachen in kürzester Zeit sprechen zu lernen. Besonders berührend war auch die Zuversicht, mit der Tatiana und Andra Bucci in die Zukunft blickten, da es ihrer Meinung nach in unserer heutigen Zeit nicht mehr möglich sein wird, eine dermaßen bestialische Tötungsmaschinerie widerspruchslos für längere Zeit aufrecht zu erhalten.

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