Warum sollte ich mich darauf einlassen? Darum!

Alex Lamprecht und Magdalena Heiss im Interview

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Alex Lamprecht (28), von 2018 bis 2020 Erzieher am Vinzentinum, hat Anfang des Jahres den Gang übers Brüggele gewagt und ist ins Priesterseminar Brixen eingetreten. Magdalena Heiss (24) ist Erzieherin im Mädchenheim der Oberschule und seit September Referentin für die Berufungspastoral der Diözese Bozen-Brixen. Im Interview sprechen Alex und Magdalena über Berufung, Herausforderungen und die Zukunft. 


Vor gut einem halben Jahr bist du ins Priesterseminar eingetreten. Wie hat sich dein Leben dadurch verändert?
ALEX: Kurz nach meinem Eintritt habe ich erfahren, dass die Seminargemeinschaft am Wochenende nach Innsbruck fahren wird. Da wurde mir bewusst: Ab jetzt plant jemand anderes mein Leben (lacht). Das war aber tatsächlich eine große Umstellung und Herausforderung. Bisher war ich gewohnt, dass ich mehr oder weniger tun und lassen konnte, was ich wollte. Jetzt ist man in einer Gemeinschaft, in die man sich einfügen muss und der gegenüber man Verpflichtungen hat. Andererseits gibt das dem Tag aber auch eine gewisse Struktur, Ordnung und Ruhe, die ich davor so nicht hatte.

Apropos Gemeinschaft: Wie geht es dir mit deinen afrikanischen und indischen Kollegen im Seminar?
ALEX: Ich habe mich auf die Gemeinschaft gefreut und es ist schön, dass es wieder eine solche gibt. Vor der Ankunft der Seminaristen aus Tansania und Indien war Matthias Kuppelwieser ja der einzige Priesteramtsanwärter in Brixen. Ich wurde jedenfalls sehr gut aufgenommen. Wir sind eine Art große WG, in der jeder seine Aufgaben hat. Was ich etwas unterschätzt habe, sind die kulturellen Unterschiede. Das ist eine sehr spannende Herausforderung – manchmal anstrengend, aber dann auch wieder schön.

Wie äußert sich das konkret?
ALEX: Die dominante Sprache in der Gemeinschaft ist Swahili. Und auch die Sozialisation meiner Kollegen war eine andere. Die meisten kommen aus Großfamilien. Armut spielte in ihrem Leben eine prägende Rolle. Manche mussten beispielsweise für Trinkwasser täglich zu einem Brunnen im Dorf wandern. Die Gesellschaft ihrer Heimat ist patriarchal geprägt. Der Priester nimmt darin eine Top-Position ein und es ist eine große Ehre, wenn jemand den Priesterberuf anstrebt. Hingegen bei uns wird man mittlerweile fast schon als Sonderling betrachtet. Bei den indischen Kollegen wiederum merkt man, dass das Kastensystem nach wie vor eine wichtige Rolle spielt, auch wenn es dieses offiziell nicht mehr gibt.

Die neue Seminargemeinschaft hat jedenfalls großes Medienecho erfahren.
ALEX: Ja. Das ist auch ein Unterschied zu vorher. Als Seminarist ist man nicht mehr so privat, fast eine Art öffentliche Person. Ich musste schon mehrere Interviews geben. Das habe ich so nicht erwartet. Leute erkennen mich, obwohl ich sie nicht kenne. Und man hat einfach mit sehr vielen Menschen zu tun. Das ist eigentlich das Schönste daran. Und auch, wie viel Vertrauen dir die Menschen entgegenbringen und wie sie sich dir anvertrauen. Umgekehrt werde ich von unbekannten Leuten aber auch oft zu ganz intimen Dingen wie meiner Sexualität – Stichwort Zölibat – befragt. Das fragt einen normalerweise ja niemand einfach so (lacht). Jetzt passiert das aber andauernd. Oft mehrmals die Woche.

Magdalena, dir ist es ähnlich ergangen. Du bist durch deine neue Position auch ziemlich in den Medien präsent. Wie ist es dazu gekommen, dass du jetzt Referentin für Berufungspastoral bist?
MAGDALENA: Mein Vorgänger, Josef Knapp, hat mich angesprochen, mit dem Plan, die Berufungspastoral einem ehrenamtlichen Vierer-Team zu übertragen und ob ich bereit wäre, da die Koordination zu übernehmen. Ich meinte, dass ich zwar noch sehr jung und ohne Erfahrung in diesem Bereich sei, aber ich mein Bestes geben würde. Nach einem Gespräch mit dem Generalvikar war die Sache dann klar.

Du bist jetzt seit September in Amt und Würden. Was werden so die Schwerpunkte eurer Arbeit sein und was sind die größten Baustellen?
MAGDALENA: Wir sind ein neues Team und mussten zunächst klären, was Berufung ist und unser Selbstverständnis klar definieren: Wo wollen wir hin? Wen wollen wir ansprechen? Geht es um Priesterberufungen oder wollen wir das Thema weiter fassen?

Gibt es auf diese Fragen bereits Antworten?
MAGDALENA: Ja. Wir möchten in Sachen Zielgruppe Jugendliche und junge Erwachsene mehr in den Fokus nehmen. Wir möchten auch die Idee des Orientierungsjahres wiederaufleben lassen, in dem verschiedene Themen zu Welt, Kirche und Glaube behandelt werden. Ich bin überzeugt, dass viele Menschen eine Sehnsucht spüren, sich mit dem Glauben zu beschäftigen, nur fehlen manchmal der Mut und die richtigen Rahmenbedingungen.  

Bleibt die Frage, wohin die Reise gehen soll.
MAGDALENA: Das ist eine gute Frage. Um sie zu beantworten, müssen wir ein klares Bild haben, wie die Situation im Moment ist: Berufung wird zu wenig thematisiert, wir gehen noch zu wenig aktiv nach außen. Unser Amt ist eines von vielen im Pastoralzentrum und irgendwie macht jedes Amt sein eigenes Ding. Mein Wunsch wäre es, Berührungspunkte zwischen den Ämtern zu finden, um gemeinsame Aktionen zu machen, denn das Thema Berufung ist für viele Ämter relevant, sei es das Missionsamt oder das Amt für Ehe und Familie. Wir haben auch bereits eine Aktion mit dem Titel „Weil du einfach wertvoll bist“ gestartet, wo es darum geht, dass jeder Mensch seine persönliche Berufung finden und aus dem „Geschenk des Lebens“ etwas machen kann.
ALEX: Ja. Berührungspunkte sind das Um und Auf. Ein Freisemestler, der zurzeit bei uns studiert, hat erzählt, wie sie in München im Seminar oft Kurzvideos aus dem Seminarleben drehen und auf YouTube stellen. Da wird nicht viel erzählt und geredet, sondern es wird einfach gezeigt was passiert. Das finde ich toll. Und dann werden noch Aktionen gemacht, die offen für alle sind, um verschiedenste Gruppen anzusprechen. Denn wenn ich eine Anbetung mache, spricht das einen gewissen Personenkreis an. Wenn ich ein Konzert oder eine Wanderung mache, einen anderen. Mit unterschiedlichen Leuten ungezwungen in Kontakt und ins Gespräch kommen. Darum geht es. Das Schlimmste, was man machen kann, ist wenn jemand andauernd an einem zieht. Das ist furchtbar unattraktiv. Wenn man beispielsweise erwägt, in diese Richtung zu gehen und die Kirche stürzt sich dann auf dich. Da will man instinktiv die Flucht ergreifen. Der richtige Weg wäre also, Berührungspunkte zu schaffen. Aktionen machen. Unverbindlich zeigen, wer man ist. Das kostet freilich auch Geld. Aber das Geld ist da. Es ist halt die Frage, wofür man es ausgeben möchte. Das Kassian-Tschiderer-Werk zum Beispiel. Dafür wird jährlich gesammelt. Das Geld wäre für die Unterstützung von Seminaristen gedacht. Aber es gibt ja fast keine. Mit diesem Geld könnte man solche Projekte finanzieren.

Könnte das Vinzentinum nicht auch so ein Berührungspunkt sein?
ALEX: Natürlich. Vinzentinum und Priesterseminar gehören zusammen. Warum sollten wir Seminaristen nicht einmal in der Woche zu einem Gottesdienst ins Vinzentinum kommen? Oder warum kommen die Schüler/-innen, beispielsweise im Rahmen der Spirit Hour, nicht auch regelmäßig zu uns. Lasst uns die Synergien doch nutzen.

Fallen dir auch noch andere Ansatzpunkte ein?
ALEX: Wichtig wäre auch eine Professionalisierung im Auftreten. Jeder kleine Betrieb agiert in Sachen Kommunikation oft professioneller als die Kirche. Wir müssen die Botschaft heute schon so verkünden, dass sie auch bei den Leuten ankommt. Wenn alle – auch im übertragenen Sinne – abschalten, sobald du etwas zu sagen hast, dann kommt sie aber nie an.
Allenfalls muss das Thema Berufung absolute Priorität haben. Wir haben viele alte Priester, die überlastet oder überfordert sind. Bei den Jungen ist es ähnlich. Auch sie sind überladen mit Aufgaben und trotz allen Bemühens kommen wichtige Dinge zu kurz. Es braucht Geld und Personal – aber nicht nur. Wir müssen den Mut auch zu radikalen Lösungen aufbringen. Bei Dingen, die jetzt 50 Jahre so gemacht wurden, aber nicht oder nicht mehr funktionieren, muss man einfach einmal sagen: „Nein, versuchen wir ganz etwas anderes.“ Überspitzt formuliert sitzen wir in einem Schiff, das untergeht und diskutieren übers Wetter: „Mei, vielleicht werds eh wieder schian?“. Aber das Problem ist existenziell. Das müssen wir verstehen.
Ich habe auch überlegt, in einen Orden einzutreten, weil mir Gemeinschaft wichtig ist, aber wenn der nächstältere Bruder 40 Jahre älter ist als du, funktioniert das nicht. Das sieht nach Auslaufmodell aus. Und gleichzeitig steigen die Erwartungen an die wenigen Jungen, die nachkommen. In der Diözese ist es ähnlich. Daher muss jetzt etwas gemacht werden. Radikal. Denn es wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Die Zeit ist nicht mit uns.
Paolo Renner sagt immer: „Die größte Werbung sind glückliche Leute“. Das heißt glückliche Priester und Ordensleute, aber auch glückliche Eheleute, glückliche Lehrer. Wenn man aber dauernd überlastet ist, schlecht bezahlt wird und kaum etwas zurückkommt – in Form von Dankbarkeit und Wertschätzung – dann staut sich Frust auf. Und das sieht man und die Leute denken sich: „Na, des wos der tuat, will i net tian.“ Wir dürfen uns nicht von den Problemen kaputt machen lassen, sondern müssen Visionäre sein.

Warum lässt man sich angesichts dieses doch sehr dramatischen Befundes auf die Sache mit der Berufung ein?
MAGDALENA: Stimmt. Ich hätte auch absagen können. Aber dann habe ich mir – auch nach Rücksprache mit meinen Eltern – gesagt: Es braucht neue Leute, es braucht neue Motivation. Ich bin zwar ehrenamtlich und habe begrenzte Zeit, aber ich möchte, dass sich etwas ändert, dass wir wieder mehr auf die Menschen zugehen. Themen werden zwar angesprochen, aber oft funktioniert einfach die Arbeitsweise nicht. Wir müssen uns besser vermarkten und den „Kunden“ Orientierung bieten. Was meines Erachtens noch sehr ausbaufähig ist, sind die Berufsbilder in der Kirche. Da gibt es nicht nur Pfarrer, Religionslehrer/-in oder Pastoralassistent/-in. Wir müssen da die Vielfalt zeigen – von kirchlicher Presse bis hin zur Mission. Das alles umzusetzen wäre ein Vollzeitjob. Wir sind zwar „nur“ ehrenamtlich, aber mit den richtigen Leuten – so bin ich überzeugt – kann man doch ganz viel erreichen.

Und umgekehrt gefragt: Warum sollte sich jemand auf das Angebot, das ihr macht, einlassen?
MAGDALENA: In der heutigen Zeit ist man sehr leistungs- und karriereorientiert. Man will viel schaffen, viel erleben, damit man Ansehen genießt, damit man etwas erzählen kann. Aber wenn dann Momente im Leben kommen, die hart, ja unbegreiflich sind, dann tun sich viele schwer, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Weil irgendwie suggeriert wird, dass man Glück kaufen kann, aber schlussendlich wir selbst an uns arbeiten müssen, um glücklich zu sein. Was dabei hilft ist, über seine Einstellungen und auch Glaubensüberzeugungen nachzudenken. Wenn man sich darauf einlassen kann, entdeckt man sich selbst umso mehr. Mit allen Stärken und Schwächen. Einfach nicht jedem einzelnen Anspruch, den die moderne Gesellschaft an uns stellt, zu erliegen, sondern sich auf das eigene Ich zu fokussieren. Und wenn man dann so ein Orientierungsjahr macht – selbst wenn einem am Ende nicht alles zusagt – so hat man sich doch einmal die Zeit für sich selbst genommen.  

Zum Abschluss noch die Frage: Wie war das konkret mit deiner Berufung? Bist du eines Tages aufgewacht und hast gedacht: Jetzt geh ich runter ins Priesterseminar und stelle mich vor?
ALEX: Nein. Das wächst natürlich. Wobei es bei mir tatsächlich auch so etwas wie ein Berufungserlebnis gegeben hat. Und es braucht glaubhafte Zeugnisse. Das war bei mir meine Oma. Bei ihr gab es nicht diese falsche Frömmigkeit. Sie war einfach ein geerdeter, spiritueller Mensch. Durch sie habe ich immer einen positiven Zugang zum Christentum gehabt. Die Grundbotschaft, dass da ein Gott ist, der dich liebt und für dich da ist, dass das Leben nicht umsonst ist, ist gut, aber vieles in der Kirche ist mittelalterlich. Das war damals in meiner Jugend so mein Eindruck.
Ich bin dann zum Studium nach Wien, habe mich dort viel mit dem Glauben beschäftigt und Leute kennengelernt, die den Glauben so gelebt haben wie meine Oma. Junge Leute. Das hat mich überrascht, weil bislang dachte ich immer: Kirche, das sind alte Leute. Rollator und weiße Haare (lacht). Doch in der Stadt waren plötzlich junge Leute, die sich mit Glauben auseinandersetzen. Ich habe dann an Einkehrtagen teilgenommen. Und einmal, als ich allein in aller Stille in meinem Zimmer war – das war in der Nähe von Wien – habe ich Gänsehaut bekommen und mir gedacht: Ich glaube, Gott will, dass ich Priester werde. Das war dieses eingangs erwähnte Berufungserlebnis. Das war im Dezember 2013. Doch ich habe das nicht wahrhaben wollen. Ich hatte gerade mein Studium begonnen und mir gesagt, das kann es jetzt nicht sein. Ich will nicht. Ich will mein Studium machen, eine Frau kennenlernen, eine Familie haben. Im Laufe der Jahre habe ich mir immer wieder gedacht, dass diese Sehnsucht nach dem Priestertum aufhören wird. Aber das war nicht der Fall. Ich habe sehr viel mit Josef Knapp über meine Gedanken gesprochen und bin auch wegen meiner Glaubensüberzeugung ins Vinzentinum gekommen. Weil ich dort als glaubender Mensch unterwegs sein konnte. Und bei meinen Gesprächen mit Josef und nachdem meine Beziehung zerbrochen war, war für mich klar, dass ich dieser Sehnsucht nachgehen und meine Berufung im Seminar prüfen will.

Was bedeutet dieser Weg für dich als Seminarist – und so Gott will – später als Priester?
ALEX: Wir dürfen nicht nur für die Frommen da sein, wir haben eine Sendung für die Welt. Wir müssen raus. Das Christentum wäre nie aufgekommen, wenn die Jüngerschaft Jesu irgendwo in Jerusalem hocken geblieben wäre und sich gegenseitig zugenickt hätte. Die sind rausgegangen zu den Leuten, die oft davon nichts wissen wollten. Sie haben auch viel Ablehnung erfahren, aber sie haben weitergemacht. Und das ist auch unsere Aufgabe.

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The Vinzentinum